Nicht nur Kevin Spacey veröffentlichte an Heilig Abend ein denkwürdiges Video, auch von Breitbart wurde ein Bewegtbild mit Jordan Peterson publiziert, das diesen bei Donald Trump Jr. zeitigte. Dieses allerdings wirklich in absolut negativer Hinsicht: laut einem Kommentar sei dem Auftritt nur die Frage vorausgegangen wie es Peterson ginge (der Kommentar könnte darüber aber auch scherzen). Gesundheitlich oder so: jedenfalls gestikulierte der Guru des Rationalismus im Habitus eines säkularen Priesters fortan drei Minuten lang darüber wie es über die Frage der Sexualmoral gelingen könne die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden.
Was daraufhin von Peterson nur gefordert worden war ist die Formulierung von „Fragen“ gewesen (ich dachte ich höre nicht recht), worauf Peterson scheinbar gleich dazu überging sich genau darauf vorzubereiten – was da als Aufgabe an ihn gestellt worden ist… Es ist die aus meiner Sicht ultimative „Gefahr“ (Herausforderung): dass über die traditionell konservative Ablehnung sexueller Freizügigkeit die populistische Rechte über traditionelle Konservative mit der neoliberalen Ideologie eine gemeinsame Basis finden könnte – welche sie in den Ansätzen des Mainstreams (wie dem Wert den ebenfalls die vermeintliche Linke mittlerweile Familien zuschreibt) ja auch schon hat. Dabei haben die liberalen Medien mit Bush dem Älteren und John McCain ja gerade erst „anständige“ Konservative abgefeiert – als Tote!
Dennoch ist die Vorstellung vorerst, wenigstens bezogen auf Amerika, lächerlich. Solange „Locker Room Talk“ nicht aus der Welt geschaffen worden ist an eine Wiederherstellung der alten moralischen Mehrheit der Rechten nicht nur in Nordamerika längerfristig keinesfalls mehr zu denken. Solange die republikanische Partei sich fest im Griff dieses Populismus befindet jegliches Ansinnen diesbezüglich aussichtslos, vor allem mit Trump-Leuten.
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Es lohnt sich jedoch so populäre, zwischen „links“ und „rechts“ scheinbar trotz aller Gehässigkeiten immer noch problemlos schlendernde Figuren wie Peterson einmal näher zu betrachten (was ich in den letzten Wochen ausgiebig getan habe). Im Frühjahr bei Bill Maher, an Weihnachten Aushängeschild von Breitbart News.
Und alles für den Kampf gegen „politische Korrektheit“. Wie geht das?
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Ja, gegen die „politische Korrektheit“ bin ich auch – aber nur weil ich das was dafür gilt nicht dafür halte. Ich halte die politische Korrektheit für menschenverachtend und begründe meine Ablehnung ausdrücklich nicht rational.
Wie dem auch sei: exemplarisch möchte ich mich auf ein Interview beschränken, das letztes Jahr geladen wurde. Es zeigt Peterson im Gespräch mit der Altfeministin Camille Paglia.
Camille Paglia? Wer ist das?
Camille Paglia veröffentliche vor fast dreißig Jahren „Sexual Personae“, eine Apologetik des weißen Mannes, die in Grundzügen mit heutigen Schriften der „neuen“ Rechten – wie „Tote weiße Männer lieben“ durchaus vergleichbar ist, aber auch mit Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ (ohne beim „Untergang“ so genau zu sein wie dieser).
Viel scheint sich seitdem wahrlich nicht in ihr geändert zu haben – weiterhin bekannt ist sie für ihre Desillusionierung bezüglich Susan Sontag. Ich halte Sontag immer noch für die größte Intellektuelle welche die USA je hervorgebracht haben, aber eines war sie ganz sicher nicht: vertrauenswürdig. Sontag konnte dieses oder jenes sagen und niemand konnte sich sicher sein was als Nächstes gilt. Ich finde das nicht weiter schlimm, aber Leute wie Paglia (und Peterson) halten das offenbar nicht aus: sie müssen immer an irgendwelche objektiv bestimmbaren „Wahrheiten“ glauben können, ehrlich gesagt vermutlich auch weil sie ansonsten an nichts glauben. Das könnte ich „bemitleiden“, da ich mich aber nicht für überlegen halten möchte will ich das lieber nicht.
In Sachen Feminismus lehnt Paglia zwar scheinbar alles ab das heute als queer bezeichnet werden würde, lebt selbst aber transidentitär. Ewiggestrig und rückwärtsgewandt an Al Pacino in „Angels in America“ erinnernd. Ihre Ablehnung von Gloria Steinem & Co. grenzt an Verachtung und steht manchem Antifeminismus kaum nach – mit der dritten Welle scheint sie sich dafür kaum beschäftigt zu haben.
Ihrem äußerlichen Erscheinungsbild zufolge lehnt sie jegliche Feminisierung des Männlichen eindeutig ab – bis hin zum Bild des Androgynen (das sie gelegentlich für Deutschland auch auf die Weimarer Republik bezieht, und es ist bekannt was dort danach kam…).
Sie behauptet zwar die populäre Kultur gegen sämtliche Angriffe in Schutz nehmen zu wollen, ihre eigenen Beispiele sind jedoch durch die Bank „klassisch“ zu nennen. Sexuellen Ausdruck inklusive, den sie zwar wertend als Unsitte ansieht, aber nicht unbedingt als Verfallserscheiung, Pornografie gerade auch als Tradition zu begreifen scheint (und als solche weiter hochhalten will?). Ich gebe zu, diesbezüglich werde ich aus ihr nicht ganz schlau: als Atheistin verteidigt sie das Christentum, das heidnische Brutalitäten (wie die Pornografie) nicht wirklich verdrängt hätte. Wie bitte?
Bei Paglia schwingt immer ein gutes Stück Kulturpessimismus mit, der Gedanke an eine zyklische, monolithische Kultur und damit verbundene Feststellung von „Dekadenz“ bezogen auf die Gegenwart. Ihr zentrales Motiv scheint die Nostalgie zu sein: der Bezug auf ihre eigene Jugend in den 1960er Jahren und wie hernach (vor allem schon ab dem nächsten Jahrzehnt) alles bergab ging.
Wegen den Franzosen! Ironischer Weise gibt es Figuren wie Paglia in Frankreich zu hauf, in Nordamerika ist sie aber wirklich eine Ausnahmeerscheinung. Sartre & Co. werden noch geliebt, aber wehe alledem was danach kam.
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Den Antimarxismus von Paglia kann ich nun wirklich nicht kohärent nennen – und über die Widersprüche dazu will ich mich eigentlich auch gar nicht äußern: er scheint größtenteils von eigenen Erfahrungen (wieder in der Jugend) und entsprechenden persönlichen Kränkungen geprägt zu sein, während über alledem der Gedanke an eine unbändige, politische Romantik schwebt.
Der Antimarxismus von Peterson ist dafür umso leichter zu durchschauen: er verwendet ihn großzügig um seinen Antifeminismus zu verschleiern, damit (neben Rechten und Konservativen) weiterhin klassische Liberale und eher linksorientierte Neodarwinisten anzusprechen. Und deshalb erlaube ich mir auch mal eine etwas größere Polemik in folgender Bildunterschrift:
Peterson über anderthalb Stunden mit Paglia 2017: kluge Befunde, aber nur Unsinn, Widersprüche und wirres Zeug wenn es um die Ursachen dafür geht;
wenn es um den Ist-Zustand und Entwicklungen wie den Karrierismus geht stimme ich beiden größtenteils zu. Ihre Beschreibung der Ursachen für all das ist meiner Meinung nach aber so daneben, dass ich mich schon frage ob meine gemeinsame Wahrnehmung des Ist-Zustandes dann überhaupt noch stimmen kann.
Das beginnt mit Peterson und seinem Bezug auf Nietzsche als politischen Philosophen. Das ist für mich ein No-Go ersten Ranges: Nietzsche war kein politischer Philosoph. Den hat Politik überhaupt nicht interessiert! Nicht einmal irgendwelche Belange die nach heutigen Maßstäben als „sozial“ gelten könnten.
Allerdings ist fast noch schlimmer der hegelianische Geist von dem beide beseelt zu sein scheinen: sie wollen Sprache anscheinend nicht nur als Mittel anerkennen, sondern als Werkzeug und sich selbst als Verfügungsgewalt überhöhen (der humanistische Grundfehler). Deshalb auch diese Ablehnung eines „radikalen Relativismus“.
Was soll so schlimm daran sein die großen Erzählungen der Menschheit zu belasten? Zwischen den Dingen zu vermitteln?
Dann Paglia und Foucault: in ihre Welt eines antiken Dualismus zwischen Ordnungsstrenge und Sinnlichkeit passt der Franzose mit seiner „Sorge um sich“ am Ende von dessen Leben offenbar überhaupt nicht. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass sie diesem ernsthaft vorwirft von der klassischen Antike keine Ahnung gehabt zu haben. Foucault hat am Ende nichts anderes als Verzicht und Zurückhaltung gepredigt, und damit viel von der heutigen Ideologie der „Entschleunigung“ (quality time) im Rahmen der neuen Bürgerlichkeit (quality time with family) vorweggenommen. Auch war Foucault alles andere als bilderfeindlich. Seine von Jeremy Bentham übernommene Form des Panoptikums als Ausdruck einer Disziplinargesellschaft wirkt gerade als Bild bis in die heutige Zeit.
Und, nur um die ersten zwanzig Minuten des Interviews abzudecken, dann noch Derrida: so als ob Derrida keine Jugend gehabt hätte. Es ist mir einfach unbegreiflich, dass der Poststrukturalismus überhaupt mit den heutigen Identitätspolitiken assoziiert wird. Der Poststrukturalismus beschäftigte sich viel mehr mit Ontologie und Hermeneutik, eher mit Literaturkritik (oder dem Film) als mit sozialen Fragen. Anders als etwa bei einem Adorno in Deutschland spielte bei Derrida in Frankreich dessen Herkunft, eigene Biographie, eigenes Schicksal, höchstens eine untergeordnete Rolle – seine Identität (Algerien) erklärte gerade nicht, oder höchstens nur über diffizile Umwege, sein Denken im (post)gaullistischen Frankreich. War wenn, dann ein Fall für den Journalismus und dessen größtenteils ohnedies peinlichen Feuilleton.
Ich sehe diese Leute in den heutigen politischen Debatten jedenfalls überhaupt nicht präsent – höchstens bei manchen Lebensstil-Fragen wird auf sie zurückgegriffen. Und sie (diese Männer) spielen erst recht im Feminismus so gut wir gar keine Rolle, zumal sich dieser „Mainstream“-Feminismus größtenteils selbst (wie ein Peterson) auf Empirismen beruft und der Poststrukturalismus dafür ganz sicher nichts taugt.
Die Entfremdung der vorgeblich „Linken“ vom Proletariat, die Verachtung der „Linken“ für heutige ArbeiterInnen, die neue Aristokratie an den Bildungseinrichtungen, lässt sich auch nicht damit erklären, dass da ein paar exponierte Denker auch nicht sonderlich sozial waren, sondern Ich-bezogene „Ego-Shooter“ gewesen sind – aus dem heutigen Zeitalter der „sozialen“ Medien.