Leserbrief zu „Die Frau als Sex-Objekt. Haben Videospiele ein Gleichberechtigungsproblem?“ M! NOVEMBER 2014 88ff.
„Mal ehrlich“, weshalb sollte jemand der eine andere Sexualität aufweist als Ihr sie Euch so akzeptabel oder sonst was vorstellt, sich durch das in diesem Artikel zum Ausdruck gebrachte Denken nicht diskriminiert fühlen? Während Ihr diese Menschen, Menschen wie mich, und/oder ihre bevorzugten Inhalte womöglich „peinlich“ findet, beschämend, als „unreif“ einschätzt.
Ihre Leben für Euch, wer auch immer Ihr eigentlich sein möget, so offenkundig ein Ärgernis oder „Problem“ darstellen. Oder weshalb sprecht Ihr ausschließlich über jene Videospiele „für Erwachsene“, die entweder sexuell sind (wie „Onechanbara“), oder Sexualität verdrängen (wie „The Last of Us“) und nicht, jedenfalls nicht viel, über die vermeintlichen „Kinderspiele“, in denen Rollen weit eher (und schon früh) als Vorbilder festgelegt werden.
Anita Sarkeesian ist ja zu Gute zu halten, dass sie wenigstens das auch tut: sie redet über den ganzen Sexismus in „Zelda“ ebenfalls, auch wenn das ihre sonstigen negativen Positionen in Hinblick auf Sexualität eher zudecken. Und über positive „Familienfreundlichkeit“ jenseits von „Sex-Objekten“ gebe es in der Hinsicht noch viel zu bereden – ich denke da bloß an den offenbar Identität stiften sollenden „Girls Club“-Kanal.
Euch oder halt dem singulären Autor dieses Artikels, wenn Ihr meine Ansprache an Euer Kollektiv zurückweisen wollt, ist die Problematik um hauseigene Nintendo-Produkte aber nur einen Nebensatz wert – dafür wird einmal mehr scheinbar jegliche normabweichende Sexualität (vor allem in und aus Japan) voll angegriffen, mit etwa irgendwelchen persönlich vorgeblich längst überkommenen Jugenderinnerungen assoziiert. Diese „Argumente“ sind ja immer die gleichen und sie geben eigentlich ständig nur ein einziges Selbstverständnis dahingehend wieder, wie Sexualität in Videospielen vermeintlich „richtiger“ gezeigt werden würde – oder vielleicht besser gleich gar nicht.
Eine Sexualität die anders nicht sichtbar ist. Denn Eure Sexualität findet ja offenbar in Schlafzimmern oder Swingerclubs statt, jedenfalls im Verborgenen, oder Ihr übt Euch in Bärte bringender Enthaltsamkeit, so sehr wie Ihr hier über diese andere herzieht: das andere Leben denunzierend.
Dieses Denken, das Ihr bei Eurer „Reflexion“ mit diesem Artikel ja auch nur im Ansatz wiedergebt, spricht zwar ständig über „Sexualisierung“ und „Objektifizierung“, aber überhaupt nicht davon dass sexuelle Inhalte symbolisch oder sonst irgendwie objektivierbar gemacht werden müssen um eine mediale Teilhabe an ihrem Inhalt überhaupt erst zu ermöglichen, oder woher diese negativen Bezugnahmen darauf sonst eigentlich kommen. Das heißt etwa was gegen „Sex-Objekte“ eigentlich einzuwenden wäre.
Oder weshalb sollte es jemand nicht sexistisch finden, wenn die Feier von Körpern in einem „Senran Kagura“ oder „Onechanbara“, und damit eine eigene Sexualität, zumindest im Ansatz scheinbar gleich (mit) verurteilt werden soll? Wie soll so jemand eigentlich dazu kommen – mit welchem Recht wird hier über diese Menschen und ihre Fantasien fremdbestimmt, was für ein Selbst meint sich das für eine kollektive Konstruktion herausnehmen zu dürfen? Wie soll das politisch korrekt sein?
Und mit welchen idealisierten Alternativen: gerade als Mensch mit Behinderung macht mich das persönlich gleich doppelt betroffen. Einerseits wird ein Leben jenseits dessen wo vordergründig Interessen liegen als nebulöses Ideal und damit „Normalität“ hingestellt, andererseits sollen Bilder, Einblicke und Zugänge jenen Körpern entzogen werden, die diese Interessen nunmal nicht teilen.
Nicht nur nicht teilen wollen, sondern in ihrem Umfeld vielleicht auch nicht teilen können, weil die Attraktivität dafür einfach nicht gegeben ist: stattdessen wird menschenverachtend und aus meiner Sicht, weil ich anderes Leben und Ihr solches wie meines ja eigentlich gar nicht kennt, zutiefst fremdenfeindlich über diese unbekannten Menschen gern als Windel-tragende Kellerkinder fantasiert. Und dazu, gegen diese schonmal angedachte sexuelle Frustration, gibt es trotz allem auch keine konstruktiven Ideen, wie diese Menschen vielleicht glücklich und zufriedener gemacht werden könnten – nicht einmal eine einzige Minute an Videomaterial gegen beleidigende Stunden der Diffamierung, so wie sich bei Sarkeesian das Verhältnis zwischen konstruktiver Vorschläge und Inhalte vernichtender Destruktion, euphemistisch „Kritik“, ausnimmt.
Überlegt Euch das doch wenigstens einmal. Und warum sollten Videospiele nicht von sich aus sexuell sein?
Ich sehe zwar nicht einmal einen Grund dafür sich rechtfertigen zu brauchen, aber wie soll sich Begehren sonst auch äußern? Wer begehrt, wenn nicht Körper?
Dahingehend sehe ich auch die „Gamergate“-Reaktionen: die Situation von Menschen deren Sexualität massiv angegriffen worden ist, wurde mittels Zuschreibungen von Morddrohungen und Assoziationen mit misogyner Gewalt erst umgedreht und dann gleich, oft noch im selben Atemzug, bestätigt. Mit dem wahrscheinlich erhofften Ergebnis, dass die ohnehin schon sprachlose Masse in diesem Bereich wieder ohne wahrnehmbarer Stimmen ist, oder zumindest ohne solcher welchen normativ zugehört werden sollte, und ein „Wir“ weiterhin an „Videospiele für alle“, aber eben nicht für jeden (wie diese negativ gefährlich gedachten Kellerkinder), arbeiten kann.
Wobei Euer Normdenken ja schon bei den ersten zwei Worten im Titel anfängt. Denn wer soll „die Frau“ oder der wohl immer mit zu denkende „Mann“ überhaupt sein?
Welche Geschlechterkonstruktionen wollt Ihr damit eigentlich vertreten? Was für eine Biologie konstituiert da über wen, und welches performative Anderssein schlägt Ihr so, wie ich finde ungeheuerlich brutal, schonmal von Vornherein aus.
Über welche Fantasie, Inszenierungen, soll in der Folge demnach eigentlich bestimmt werden? Für welche Lebensweisen und Einstellungsmerkmale habt Ihr demnach kein „Verständnis“, was könnt Ihr „nicht nachvollziehen“, findet Ihr unangebracht etc.
Ja, auch ein „Forza Horizon“ ist in dieser Hinsicht ein sexuelles Videospiel: so sehr das einer Bürgerlichkeit, einem traditionellen Familiendenken, auch missfallen mag. Es ist nunmal nicht so, dass ein wenig „Medienkompetenz“ schon ausreicht, um ein „harmloses“ Rennspiel für den Nachwuchs im eigenen Haushalt als „geeignet“ auszumachen – so wie es eine geistlose Empirie der Öffentlichkeit weismachen will, deshalb alles andere „Verdächtige“ unterdrücken.
„Männer“ grenzen sich mit entsprechenden Formulierungen wie „ich als Mann“ von ihren unreif imaginierten „Geschlechtsgenossen“ ab und solidarisieren sich daraufhin mit jenen als „aktiv“ und/oder „mutig“ empfundenen „Frauen“, die vorgeben mit ihrer „Kritik“, die für gewöhnlich eigentlich eine völlig unakademische Empörung ist, ein sich unwissenschaftlich Entrüsten bis „Sich-Übergeben-Wollen“, wie es Sarkeesian angesichts des „Manic Pixie Dream Girl“ ausdrückte, einer „Männerwelt“ zu trotzen.
Doch tun sie das wirklich? Bestätigt und verlängert diese „Kritik“ das Patriarchat nicht vielmehr, wenn das Ergebnis in etwa wie folgt aussieht: auf Körperbilder von „Männern“ wird weiterhin kein Druck, keine strukturelle Gewalt, ausgeübt, nur das patriarchale Verhüllungsgebot für „Frauen“ wird ideell erfüllt und im schlimmsten Fall sogar eingehalten.
„Frauen“ dürften vielleicht nur dann in aufreizender Weise dargestellt werden, wenn gleichzeitig auch „Männer“ so portraitiert erscheinen. Und soweit ich das überblicken kann ist das diesem Artikel zufolge auch Eure Vorstellung von Inklusion, ja sogar „Gleichberechtigung“, oder sonst halt die Position des im Editorial dafür gelobten Autors.
Doch wen grenzt Ihr/er genau dadurch eigentlich aus, welche spezifische Sexualität wird so verhindert – letztlich unmöglich gemacht? Nicht nur was männliche Dominanz angeht, sondern auch Heteronormativität, welche über dieses Denken in erster Linie heterosexuelle Titel für „Männer“ moniert, aber auch auf erste Ansätze eines dezidiert schwulen Videospiels übertragen werden kann – wie es im Frühjahr das PC-Adventure „My Ex-Boyfriend the Space Tyrant“ zeigte: der Titel wurde von der Videospielpresse weitgehend totgeschwiegen, es gab sogar vereinzelten Protest dagegen, weil es wie eine Variation des alten Hetero-Microproseadventures „Rex Nebular and the Cosmic Gender Bender“ wirkte und sehr viel mit unliebsamen Stereotypien arbeitete.
Hinzu kommt diese ständige, sowohl körperliche, als auch ökonomische Doppelmoral: Ihr zitiert ausschließlich erfolgreiche Frauen aus dem Marketing, diversen PR-Abteilungen, habt dabei in Eurer eigenen Redaktion als Autorin dem Vernehmen nach derzeit jedoch nicht eine einzige Frau.
Und dieses besonders kreative „Onechanbara“ wird noch dazu sowieso wieder nicht im Westen erscheinen, weil Eure vorherrschenden Einstellungsmerkmale das eben schon zu verhindern wissen: Ihr grenzt aus, betreibt Eure TäterInnen-Opfer-Umkehrungen, kriminalisiert, pathologisiert usw.
Das im Text angesprochene Editorial dieser Ausgabe befindet sich auf Seite 3 und trägt bezeichnender Weise den Titel „Nachholbedarf“…
Update 20. November: das angekündigte Leserforum findet sich zumindest in der Dezember-Ausgabe gar nicht. Nicht ein Brief schien zum Thema abgedruckt worden zu sein.
Selbst das Editorial schweigt sich diesmal darüber aus. Ist wahrscheinlich auch besser so… Erfreulicher Weise wurde ebenfalls in den beiden „Senran Kagura“-Tests dieses neuesten Heftes auf weitere Vorwürfe weitgehend verzichtet.